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Geschichten und Texte

für Badewanne und Klo

Zwei

„Nicht die Welt macht diese Menschen,

sondern diese Menschen machen die Welt.“

Elfriede Hablé

Gestern morgen trank ich meinen Kaffee und sah dabei aus dem Fenster als ich diesen alten Mann bemerkte. Er konnte nur mühsam gehen und stützte sich auf seinen Rollator, während er, eine Müllzange in der anderen Hand, unter größter Anstrengung die Straße säuberte. Müllsammeln in Neukölln ist eine Sisyphusarbeit. Und dennoch verfolgte er diese mit einer beispielhaften Ruhe.  Was für eine enorme Kraftanstrengung es für ihn bedeutete, den unachtsam weggeworfenen Müll zu beseitigen. Und nicht nur, dass er der achtlosen Gesellschaft damit einen Dienst und der Natur Wertschätzung erwies, mich freute außerdem der Gedanke, dass sich dieser Mann in seinem hohen Alter eine Beschäftigung suchte um seinen Tag zu strukturieren. Menschen brauchen Aufgaben. Dieser alte Mann versumpfte nicht in seinem Sessel, sondern er trotzte mit seiner dünnen Jacke und seinen wackligen Gliedmaßen Müßiggang und Verfall und tat dabei etwas Sinnvolles, Gutes und Allgemeinnütziges. Langsam setzte er seinen Weg fort. Zwischendurch machte er auf seinem Rollator eine Pause. Ich überlegte, ob ich ihm einen Kaffee bringen sollte um ihm meine Anerkennung zu zeigen, doch dann fragte ich mich, ob man in seinem hohen Alter besser entkoffeiniertem Kaffee trank – und außerdem war ich im Schlafanzug. So beobachtete ich ihn weiter und freute mich darüber. Die Passanten nahmen keine Notiz von ihm, liefen ungeachtet vorbei, dem nächsten Gedanken oder Ziel folgend. Ich konnte ihnen keinen Vorwurf machen aber ich bedauerte sie in diesem Moment dafür. Der Mann verschwand schließlich hinter der nächsten Hausmauer und ich verfolgte meinen nächsten Gedanken. Im Verlauf des Tages kam die Erinnerung an diesen Moment immer wieder zurück.

 

Am nächsten Morgen dasselbe Spiel: Ich blickte mit meiner Kaffeetasse aus dem Fenster. Da war er wieder. Die Pflastersteine hatten sich genug Müll für seine Dienste vorbehalten. Als er sich zur Erholung schwer atmend gegen den Zaun lehnte, bemerkte ich, dass er seinen Rollator gegen eine Sackkarre mit Mülltonne eingetauscht hatte. Er konnte nicht mehr auf seinem Gefährt sitzen aber er konnte mehr Müll sammeln. Mit dem Erweitern seiner Ziele rückten seine körperlichen Beschränkungen in den Hintergrund. Ich verspürte große Bewunderung für ihn. Ich sah an mir herab und betrachtete meinen Schlafanzug. Meine Gedanken kreisten um entkoffeinierten Kaffee. Ein dicker Mann trat aus einer Haustür. Ich rechnete fest damit, dass er wie alle anderen vorüberging, doch ich täuschte mich. Er bemerkte den Alten und seine Anstrengungen: „Kann ich helfen?“, und noch während er dies sagte, lief er auf den alten Mann zu, welcher seine Ohren haltend andeutete, dass er nicht verstanden hatte. Der dicke Mann nahm dem alten Mann die Zange aus der Hand und fand ein Papier, das er in die Mülltonne auf der Sackkarre warf. Er erspähte ein zweites und unversehens hatte er sich der Aufgabe vollends verschrieben.

 

So teilten diese beiden vom Schicksal zusammen-gewürfelten Menschen einen Augenblick, in welchem sie sich dem gleichen Ziel verschrieben. Der alte Mann kam dem dicken mit seinem Rollator entgegen um ihm die Arbeit zu erleichtern. Als kein Müll mehr zum Sammeln auf den Straßen lag, deutete der dicke Mann in eine Richtung und verschwand agilen Schrittes hinter der nächsten Hausmauer. Der alte Mann machte sich langsam auf den Weg und folgte ihm, bis auch er verschwand. Die Straße war sauber.

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