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VON EINER FRAU, DIE (IN) FREIHEIT L(I)EBTE: Lou Andreas-Salomé

von Nora Brandt


„Ich bin Erinnerungen treu für immer: Menschen werde ich es niemals sein.“

Lou Andreas-Salomé


Artwork @nka.arte


Die im Jahr 1861 geborene Louise von Salomé, später bekannt als Lou Andreas-Salomé

(oder unter ihren Pseudonymem Lolja von Salomé und Henri Lou) war nicht nur Intellektuelle, Schriftstellerin, Philosophin, Psychonalytikerin und stand in engem Austausch mit großen Geistern ihrer Zeit wie Paul Rée, Friedrich Nietzsche, Rainer Maria Rilke, Sigmund Freud und Leo Tolstoi: Sie war in erster Linie eine selbstbewusste Frau, die ihre eigenen Vorstellungen ohne Rücksicht auf Konventionen lebte. So eigenwillig und ihrer Zeit voraus war auch ihr Liebesleben.


Als kleines Mädchen sehr religiös, löste sie sich früh von ihrem Gottesglauben und wertete diesen Verlust im Sinne Nietzsches zu einer Bejahung des Lebens um. Sie beschloss, fortan nur dem eigenen freien Erkenntnisdrang zu folgen. Den ersten Heiratsantrag, von ihrem fünfundzwanzig Jahre älteren philosophischen Lehrer Hendrik Gillot, lehnte sie als Siebzehnjährige ab. Noch nicht ganz volljährig verließ sie nach dem Tod ihres Vaters 1880 ihr Elternhaus und begab sich zum Philosophiestudium nach Zürich, da die hiesige Universität damals eine der wenigen Hochschulen war, welche auch Frauen zum Studium zuließ. Sie begriff ihren Eros als einen Eros der Erkenntnis und lehnte Sexualität ab.


1882 lernte sie den Philosophen Paul Rée, ein Freund Nietzsches, kennen. Rée verliebte sich in sie und machte ihr bald darauf einen Heiratsantrag, welchen sie ablehnte. Doch es entwickelte sich eine enge Freundschaft zwischen ihnen. Kurz darauf lernt sie auch Nietzsche kennen, welcher ihr ebenfalls einen Heiratsantrag machte, den sie gleichfalls ablehnte. Auch hieraus entwickelte sich eine enge freundschaftliche und geistige Verbindung. Den Sommer verbrachte Lou teils mit Rée auf dessen Gut in Pommern, teils mit Nietzsche in Thüringen. Die geistige Verbundenheit Nietzsches und Lous sei so vollkommen gewesen, als entstammten sie einem „Geschwistergehirn“. Die Gleichgestimmtheit gründete auch in der instinktiven Abwehr der Sexualität beider. Lou schlug den beiden Männern vor, ihre von ihr genannte „Dreieinigkeit“ einer intensiven Arbeitsgemeinschaft in einer Wohngemeinschaft mit freundschaftlichem Zusammenleben, Studieren, Schreiben und Diskutieren zu vertiefen, was aber an der Eifersucht der beiden Männer scheiterte. Lou wollte die Beziehung zu Nietzsche auf rein geistes-erotischer Ebene halten, doch seine Intentionen wandelten sich und hoben sich zunehmend über den geistigen Austausch hinweg: er begehrte sie als Frau. Sie ließ sich davon abschrecken, sah ihre Geistesfreiheit in Gefahr, fremdgelenkt zu werden und entging der Vereinnahmung durch Nietzsche. Später setzte sie sich in ihrer psychoanalytischen Aufarbeitung damit auseinander und bedauerte, auf diesen Konflikt „nicht als Frau reagiert“ zu haben. Im Herbst desselben Jahres brach Nietzsche die Freundschaft mit beiden nach einer Auseinandersetzung ab: Grund war seine Eifersucht, die er später bereute. Lou und Paul Rée lebten weitere drei Jahre lang freundschaftlich zusammen in Berlin. 1885 trennten sie sich. Sechs Jahre später verunglückte Rée tödlich. So nahm eine geistige Dreierbeziehung schließlich ein Ende.


1986 begegnete Lou Friedrich Carl Andreas und ließ sich nach langem Werben seinerseits, inklusive eines Selbstmordversuchs vor ihren Augen, doch schließlich auf eine Ehe mit ihm ein. Allerdings unter Ausschluss des Sexuellen. Später reflektierte sie ihr Nachgeben auf den Antrag in einem Nachtrag zu ihrem Werk „Lebensrückblick“: Auch hier habe sie nicht als Frau reagiert. Eine tief in ihr verankerte weibliche Passivität hätte sie wehrlos gemacht gegenüber der männlichen Souveränität. Wie eine Naturgewalt hätte Carl auf sie eingewirkt und hätte eine dämonsiche Wirkung auf sie gehabt, der sie erlegen war. Die Forderung an Carl, die Ehe ohne sexuelle Begegnung einzugehen, hätte ihr geholfen, ein gewisses Maß an Eigenständigkeit zu bewahren. So war es nun schließlich schon das wiederholte Mal, dass, indem ein Mann durch sein Begehren Anspruch auf sie erhob, ihre Souveränität und ihre unabhängige Lebensvorstellung bedrohte. Diese Vereinbaren des sexuellen Ausschlusses wurden von beiden akzeptiert, bis sich ihr Carl, während sie schlief, das unausgesprochene Gesetz brechend, sexuell näherte. Sie erwachte nach eigener Aussage in dem Moment, indem sie im Begriff war, ihn aus Gegenwehr zu erdrosseln. Dieser Vorfall war für sie hochgradig traumatisierend und führte ihr den Zwang ihrer Ehe vor Augen. In der Überzeugung, dass er sie andernfalls töten würde, versprach sie ihm, sich nicht von ihm zu trennen, wollte aber fortan ihr eigenes Leben im gemeinsamen Haus führen.


Den sexuellen Anspruch auf sie hatte sie bislang als etwas Identitätsbedrohendes erfahren, sie verband also Sex mit Unterdrückung, doch sie lebte kein asexuelles Leben. Sie lebte ihre Sexualität durchaus mit Männern, die sie nicht in ihrer identitären Existenz bedrohten. Dies alles jedoch erst nach 1897, denn ihren eigenen Angaben zufolge verlor sie ihre Jungfräulichkeit erst im Alter von 36 Jahren. Ab dann pflegte sie, obwohl Sexualität in ihrer Ehe ein Ausschluss war, außerehelich Liebesbeziehungen, weswegen sich ihr Ehemann oft eifersüchtig äußerte. Er selbst hatte ein Verhältnis mit ihrer Haushälterin, mit der er auch eine Tochter bekam. Lou kümmerte sich nach dem Tod der Mutter um das Kind und setzte es später als Haupterbin ein. Einerseits lebte Lou ein Leben als bürgerliche Hausfrau, andererseits lebte sie ein Leben in Unabhängigkeit, hatte mehrere Liebhaber, bildete sich unablässig fort und ging viel auf Reisen. Lous Bekanntenkreis erweiterte sich rasch und sie pflegten engen Umgang und Austausch mit zahlreichen Intellektuellen, während sie wissenschaftlich und literarisch publizierte.


1897 lernt sie den einundzwanzigjährigen, und damit über zehn Jahre jüngeren Rilke kennen und sie begann ein leidenschaftliches Verhältnis. Sie verbrachten einige gemeinsame Monate in der Nähe Münchens, ehe sie miteinander zurück nach Berlin gingen. Rilke zog in die Nähe des Ehepaares Salome-Andreas und verbrachte viel Zeit in deren Wohnung. Lou beeinflusste Rilkes Persönlichkeit, Denken und Schreiben und wurde sehr von ihm bewundert. Diese Bewunderung und „Überschwänglichkeit“ missfiel ihr aber. So verhinderte sie die Veröffentlichung seiner ihr gewidmeten Liebesgedichte. Sie wollte nicht angebetet, sondern wahrgenommen werden. Die Abhängigkeit des jungen Rilke ihr gegenüber bedrückte sie zunehmend, auch sein psychischer Zustand verschlechterte sich. 1900 beschloss sie, sich von ihm zu trennen, was sie im Februar 1901 vollzog. Ihre Freundschaft blieb ihnen aber lebenslang erhalten. Doch die leidenschaftliche Beziehung zu Rilke war für sie prägend. Neben der als „unabänderliche Tatsache“ hingenommenen Ehe mit Carl, in welcher sie sich niemals als Frau verhalten hatte, ist diese zentrales Thema in ihrem „Lebensrückblick“. Denn in dieser verwandelte sie sich von einer „Unvollendeten“ in eine Liebende, die sie zeitlebens blieb. Sie schrieb über Rilke: „War ich jahrelang Deine Frau, so deshalb, weil Du mir das erstmalig Wirkliche gewesen bist... Wortwörtlich hätte ich Dir bekennen können, was Du gesagt hast als Dein Liebesbekenntnis: ‚Du allein bist wirklich.‘ Darin wurden wir Gatten, noch ehe wir Freunde geworden, und befreundet wurden wir kaum aus Wahl, sondern aus ebenso untergründig vollzogenen Vermählungen. Nicht zwei Hälften suchten sich in uns: die überraschte Ganzheit erkannte sich erschauernd an unfasslicher Ganzheit. So waren wir denn Geschwister – doch wie aus Vorzeiten, bevor Inzest zum Sakrileg geworden.“ Sie sah sich in Rilke in ihrer künstlerischen Person gespiegelt, für Rilke war sie die Verkörperung der Liebenden schlechthin, deren Liebe, unabhängig vom Liebesobjekt (und also auch von ihm selbst) ihre Weise, auf der Welt zu sein, war. Der Bruch mit Rilke nach ihrem vierjährigen „totalen Ineinanderleben“ fiel ihr sehr schwer und löste große Schuldgefühle bei ihr aus. Sie schrieb damals in ihr Tagebuch „Damit R[ilke] fortginge, ganz fort, wäre ich einer Brutalität fähig. (Er muss fort!)“ Seine psychische Labilität belastete sie aber zu sehr. Sie sah sich genötigt, die Beziehung zu ihrem Selbstschutz abzubrechen. Mit ihrem Versprechen ihm gegenüber, das sie „in der Stunde höchster Not“ für ihn da sein werde, versuchte sie ihre Selbstvorwürfe abzumildern. Bereits zwei Jahre später, im Sommer 1903, sah er sich unter künstlerischem Selbstzweifel und ehelichen Sorgen dieser Not ausgeliefert und löste ihr Versprechen ein, indem er sie bat sie, ihr schreiben zu dürfen. Der daraus entstandene Briefkontakt hielt bis zu Rilkes Tod 1926.

„Es ist weder Schwäche noch Minderwertigkeit des Erotischen, wenn es seiner Art nach auf gespanntem Fuß mit der Treue steht, vielmehr bedeutet es an ihm das Abzeichen seines Aufstiegs zu noch weiteren Zusammenhängen.“ Lou Andreas-Salomé

Nach der Trennung von Rilke 1901 lernte sie kurz darauf später Sigmund Freud kennen, der sich zur entscheidenden (väterlich-platonischen) Bezugsperson entwickelte. Die letzten fünfundzwanzig Jahre ihres Lebens widmete sie sich der Psychoanalyse, ehe sie 1937 nach langer Krankheit starb. Ihre Ehe zu Carl bestand bis zu ihrem Tod. Dennoch liebte und lebte sie den damaligen Konventionen zum Trotz unabhängig und selbstbestimmt. Sie lebte zu einer Zeit, in welcher Frauen kaum wirtschaftliche und lebensgestalterische Freiheiten und Rechte hatten und in welcher auf wilde Ehe Gefängnis stand. Dennoch führte sie ihre Beziehungen in aller Offenheit und lebte ein alternatives, polygames und zeitweise polyamoröses Liebesleben, noch lange ehe diese Begriffe existierten.



Filmtipp: Lou Andreas-Salomé (D 2016)

Literaturtipp: Irvin D. Yalom: When Nietzsche Wept, 1992; dt. Und Nietzsche weinte; 1994 bei btb



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