eine persönliche Perspektive
von Max Stauffenberg
Max ist 26 und lebt seit einem Jahr in einer offenen Beziehung mit seiner Freundin Mary. Für die Polyamorie möchten sie sich offenhalten, wenn einer der beiden Gefühle für jemand anderes entwickelt. Für leben.lieben.blog beschreibt er, wie seine Öffnung für alternative Beziehungskonzepte verlief und wie er mit dem Problem der Eifersucht umgeht.
Artwork @nka.arte
In meinen vergangenen (monogamen) Beziehungen sind wir uns gegenseitig fremdgegangen. Das hat zu großen Verletzungen geführt. Damals wusste ich schon, dass gewisse Bedingungen zur Untreue führen können und selbst in den besten Phasen meiner Beziehungen hatte ich den Wunsch, sexuelle Begegnungen mit anderen Frauen zu haben. Ich wollte aber nicht daran glauben, bis es passiert ist. Dann kam der Schmerz gleich doppelt: betrogen und belogen zu werden. Ich habe viele Paare kennengelernt, die glücklich mit der Monogamie sind und nicht mehr als einander brauchen. Manchmal habe ich mir auch gewünscht, so genügsam zu sein. Aber irgendwann habe ich gemerkt, dass ich anders ticke. Einerseits habe ich das Bedürfnis nach einer tiefen Bindung, andererseits möchte ich mich sexuell ausleben und entfalten können. Ich war von dem Glauben beseelt, dass sich diese Sehnsüchte nicht vereinen ließen, bis ich andere Beziehungsmodelle kennenlernen durfte.
Mary und ich leben in einer offenen Beziehung, haben Sex mit anderen aber emotionale Exklusivität. Das erscheint uns nicht konsequent, aber es bildet den Stand unserer aktuellen Möglichkeiten ab. Wie eine Beziehung zu Dritt aussehen könnte, darüber haben wir uns schon viele Gedanken gemacht. In meiner Vorstellung ist dabei die größte Herausforderung, meine Eifersucht in den Griff zu bekommen. Das empfinde ich schon in meiner offenen Beziehung als strapazierend. Ich verspüre Eifersucht, wenn meine Freundin Sex mit anderen hat. Wie soll das erst sein, wenn Gefühle ins Spiel kommen? Aber ich habe gelernt, dass Eifersucht etwas ist, mit dem ich lernen kann, umzugehen. Ich möchte das polyamore Konzept für die Zukunft nicht ausschließen.
Eifersucht verschwindet nicht von heute auf morgen, aber ich kann mit ihr arbeiten
Eine offene Beziehung mit Mary einzugehen bedeutete für mich, mich mit meiner Eifersucht auseinanderzusetzen. Bevor ich diesen Schritt wagen konnte, mich auf eine alternative Liebesform einzulassen, musste ich mich selbst besser kennenlernen und begreifen, was ich eigentlich brauche. Schließlich habe ich akzeptiert, dass ich ins monogame Modell nicht reinpasse und auch nicht reinpassen möchte und konnte mich der Herausforderung stellen.
Heute schätze ich die Vorteile der Offenheit und kann mir nicht mehr vorstellen, eine monogame Beziehung zu führen. Dennoch bleibt die Eifersucht und der Umgang mit ihr. Das ist nicht immer leicht, doch die Auseinandersetzung lohnt sich. Ich betrachte die Eifersucht als eine Möglichkeit, an sich selbst zu arbeiten, sich mit den verborgenen Teilen in sich zu beschäftigen, Urängsten ins Gesicht zu schauen. Und gleichzeitig ist es eine Chance, diese Prozesse in einem Miteinander gemeinsam zu klären und dabei nicht nur sich selbst, sondern auch die Beziehung zu stärken.
Das kann wehtun, letztlich ist der Prozess aber heilend
Ich möchte meiner Freundin alle Freiheiten geben, spüre aber den Schmerz der Eifersucht, wenn sie Sex außerhalb unserer Beziehung hat. Dann versuche ich, mich meinen Gefühlen zu stellen und lasse mir von ihren Erfahrungen erzählen. Ich frage sie, wie sie sich dabei gefühlt hat und versuche mich in sie einzufühlen. Ich stehe dann zu meiner Eifersucht, spreche offen über meine Kränkung und meinen Schmerz, versuche ihr, meine Gefühle nahezubringen. Sie unterstützt mich dabei. Sie macht mir klar, dass sich unsere Bindung dadurch nicht verändert. Das kann ein paar Tage wehtun. Dann lässt die Anspannung nach.
Es ist enorm schwierig, die eigenen Schwächen zu zeigen, aber langfristig hat es mir immer geholfen. Ich lerne dabei, dass viele meiner Ängste einer tieferen Wurzel entspringen und ich sie auf Situationen übertrage, die nichts mit der Angst an sich zu tun haben. Wenn ich eifersüchtig bin, fürchte ich, verlassen zu werden, weil ich Angst davor habe. Aber ich kann mir bewusst machen, dass mir die Zuneigung meiner Freundin einem anderen Menschen gegenüber nichts von ihrer Zuneigung zu mir nimmt. Wenn ich mir das klar mache, kann ich alte Verknüpfungen auflösen und umlernen. Dazu muss ich aber mein Gefühl der Angst erkennen, mir ein- und zugestehen und es auch kommunizieren können.
Ich erlebe, dass die sexuellen Erfahrungen meiner Partnerin unsere Bindung bisher nicht beeinflusst haben und dass unsere Liebe genauso präsent bleibt. Das gibt mir Sicherheit. Ich kann mir vorstellen, dass ich diese Sicherheit irgendwann nicht mehr benötige. Ich möchte dann gerne noch einen Schritt weitergehen und lernen, dass die Liebe sich durch andere Menschen durchaus verändern darf und dass ich ihre Liebe nicht für immer komplett beanspruchen kann. Denn Liebe ist ein universales Gefühl, dass sich im Zusammenspiel der Menschen erfahrbar macht, nicht aber von ihnen abhängt.
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Perspektiven wechseln hilft, mit- und voneinander zu lernen
Es hilft mir, Verständnis und Toleranz für die sexuellen Erlebnisse meiner Freundin zu entwickeln, wenn ich die Perspektive wechsle. Ich möchte ja, dass es ihr gut geht. Ich gönne ihr schöne Momente. Und ich verstehe ihren Wunsch danach, da ich selbst auch diese Bedürfnisse habe und ausleben möchte. Außerdem hilft es mir, mich in den Mann hineinzuversetzen. Natürlich kann ich seine Erregung für meine Freundin nachvollziehen, ich fühle sie ja auch. Ich sehe ihn dann weniger als feindlichen Rivalen. Wir fühlen dasselbe, das verbindet uns. Wenn ich den Mann kennenlerne und merke, dass er es gut mit Mary meint, kann ich auch viel besser loslassen. Schwierig wird es mit der Empathie allerdings dann, wenn ich den Umgang des Mannes mit meiner Freundin kritisiere. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie schnell man in toxische Strukturen geraten kann. Natürlich möchte ich nicht, dass meiner Freundin das passiert, dass ein anderer sie für egozentrische Machtspiele missbraucht. Wenn ich dem Mann Skepsis entgegenbringe, komme ich nicht vom Misstrauen los. Ich vertraue dieser Verbindung dann nicht. Und somit kann es mir nicht gelingen, meine Eifersucht zu überwinden. Mein Schutzverhalten übersteigt aber die Grenzen meines persönlichen Raums. Was Mary mit anderen hat, muss Mary verantworten, nicht ich. Es ist ihr Recht, eigene Erfahrungen zu machen, auch wenn sie dem entgegenstehen, was ich für richtig halte. Ich möchte lernen, ihr dies zuzugestehen. Das zu verinnerlichen und umzusetzen, wird noch eine Weile dauern. Mary ist für mich ein großes Vorbild im Umgang mit Eifersucht. Sie empfindet keine. Sie hat sich schon sehr früh mit dem Thema auseinandergesetzt und beschlossen, der Eifersucht keinen Raum in ihrer Gefühlswelt zu geben. Wenn ich Sex mit anderen Frauen habe spürt sie weder Schmerz noch Ärger. Sie interessiert sich für meine Erfahrungen. Mary ist großartig. Auch ihr Umgang mit Eifersucht hat mir schnell gezeigt, dass ich einen sehr besonderen Menschen kennengelernt habe.
Eine erfüllende Verbindung basiert auf Aufrichtigkeit
Eine offene oder polyamore Beziehung bringt in der Regel eine gewisse Bereitschaft mit: Sich selbst und gewisse Muster zu hinterfragen und das Verhalten dementsprechend anzupassen. Sie erfordert Reflexion und Kommunikation. Um diese kommt man auch in monogamen Beziehungen nicht herum, wenn man eine aufrichtige und erfüllende Beziehung führen möchte. Sich dieser Verantwortung zu entziehen, ein Schema F zu übernehmen und auszufüllen, kann einfach sein, wird aber keinem Beteiligten gerecht.
Ich begegne oft dem Vorurteil, dass offene Beziehungen aus einer Angst vor Bindung entstehen, dass sie unverbindlich sind und kaum von einer losen Affäre zu unterscheiden. Das kann ich nicht bestätigen. Im Gegenteil, die Basis unserer Beziehung ist doch gerade die, dass wir Möglichkeiten suchen, eigene Bedürfnisse und Wünsche und die des*der anderen zu erkennen und in einer Beziehung miteinander zu gestalten. Mehr noch: eine tiefe Bindung entsteht doch grundsätzlich aus Vertrauen und Ehrlichkeit. Offene Beziehungen fordern diese oft dringlicher ein als das klassische Konzept. Mary und ich teilen die Vorstellung, dass Verletzungen aus Unwissenheit und Spekulationsraum entstehen. Wenn wir aber voneinander wissen, wo wir aktuell mit unseren Gefühlen stehen und zuordnen können, woher unsere Emotionen entspringen, fühlen wir uns sicher und nahe. Solange wir den Weg der Beziehung gemeinsam gehen und es eine tiefe Verbundenheit gibt, verlieren wir uns nicht aus den Augen und müssen uns nicht betrügen. Deshalb sind Kommunikation, Empathie und Ehrlichkeit das Wichtigste in unserer Beziehung: Wir erzählen uns alles, versuchen zu verstehen, was das im anderen auslöst und möchten einen Konsens unserer Bedürfnisse finden.
Wir haben eine tiefe Liebe füreinander, erleben innige Zweisamkeit, kennen Familie und Freunde des anderen, erzählen einander von uns. Wir möchten uns in unserer Beziehung frei entfalten und unterstützen uns dabei. Es ist keine Schwäche, dabei Eifersucht zu empfinden. Es ist keine Blöße, sich diese einzugestehen. Es ist keine Schande, diese zu kommunizieren. Ich erlebe all das zwar als große Herausforderung, aber auch als große Stärke und Chance.
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