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  • AutorenbildNora Brandt

FREIHEIT vs. BINDUNG: Wie das Spannungsfeld entspannt werden kann

Aktualisiert: 21. Jan. 2023

Ein Interview von Nora Brandt mit dem Beziehungs- und Familienberater Sven Liefold


Artwork @nka.arte


Sven Liefold ist Beziehungs- und Familienberater in Berlin-Friedrichshain, Vater zweier Söhne und lebt seit vielen Jahren in einer Patchwork-Konstellation, zeitweise polyamor, aktuell „beziehungskreativ“. Er versteht sich als Familienarchitekt, bezieht sich dabei aber nicht nur auf Familien: „Beziehungen in allen ihren Facetten sind mein Spezialgebiet“. Gemeint sind die Beziehung zu sich selbst, Freundschaften, Geschwisterbeziehungen, Elternbeziehungen und Liebesbeziehungen in allen Varianten: ob monogam, offen, polyamor oder ganz anders.

Im Interview mit leben.lieben. spricht er darüber, wie Verbindungen aus Individuen gelingen können, welche Rolle Bedürfnisse und Erwartungen dabei spielen, vom Wunsch nach Sicherheit und wie das Spannungsfeld zwischen Freiheit und Verbindung entspannt werden kann.


Familienarchitekt Sven Liefold (Bildrechte der folgenden Bilder bei Sven Liefold)


Sven, du bist Beziehungsarchitekt und unterstützt deine Klient*innen dabei, individuelle Beziehungen anstelle von Fertighäusern zu bauen, denn Beziehungen könne man nicht nach Modell leben, so deine Überzeugung. Was ist damit gemeint?

Eine Beziehung zwischen zwei Individuen muss die Individualität berücksichtigen. Das wird niemals hundertprozentig zu einem Modell passen. Modelle bieten eine Orientierung. Man kann ein Modell ausprobieren und sehen, was passt. Man sollte aber nicht davon ausgehen, alles darin erfüllen zu müssen. Man kann mit Modellen beginnen, früher oder später wird man aber davon abweichen müssen.


Du hilfst also maßzuschneidern. Doch es gibt sicherlich Baumaterialien, die sich bewährt haben?

Ganz wichtig ist Neugierde. Ist man neugierig auf den*die andere*n und auf sich selbst, dann ist das schon einmal eine gute Basis. Wenn man Freude am Erforschen hat, dann hilft das sehr. Natürlich muss man aber auch sehen, welche Baumaterialien die Individuen mitbringen. Mit denen muss man dann erstmal arbeiten. Damit kann man schöne Häuser bauen. Nicht mit allen wird man einen Palast bauen können, aber vielleicht einen weitläufigen Bungalow.

Ich werde oft nach Zutaten gefragt. Viele wollen klare Indikatoren, an denen sie sich festhalten können. Die gibt es aber nur begrenzt. Außer dass ich sage: An dir kannst du dich gut festhalten, wenn du eine Verbindung mit dir aufnimmst. Und von da aus kannst du sie dann zum*r anderen aufnehmen. Ein wichtiger Faktor einer erfüllenden Beziehung ist, das eigene Wohlbefinden in den Blick zu nehmen: Ist das gewährleistet? Kümmere ich mich gut darum? Und natürlich die Verbindung. Dass man von sich aus nach Verbindungen zum*r anderen schaut.

Ehrlichkeit und Kommunikation helfen natürlich. Aber das sind weitläufige Begriffe. Kommunikation kann auf sehr viele Arten stattfinden. Es geht darum, sich darauf einzulassen und auch für andere Wege offen zu sein. Wenn man beispielsweise mit Worten nicht weiterkommt, kann eine Berührung Wunder wirken oder den*die andere*n anzusehen und zu erspüren. Hinter dem Wunsch nach einem Gespräch steckt oft eine Funktion. Dann hilft es, sich zu fragen warum man das nun unbedingt möchte: Ist mir gerade die Verbindung verloren gegangen? Fühle ich mich nicht sicher? Bin ich gestresst? All sowas beeinflusst unser Empfinden und unser Miteinander. Es ist gut, dass wir heutzutage mehr über Gefühle sprechen und Dinge zum Thema machen. Wenn man die ureigenen Themen zum Thema der Beziehung macht ist das hilfreich für einen selbst und für den Kontakt miteinander. Natürlich kann das eine Beziehung auch in Gefahr bringen, aber dann beschäftigt man sich mit der Realität.


Kontakt ist ein gutes Schlüsselwort. Könnte man so resümieren: Wichtig für Beziehungen ist, den Kontakt zu sich selbst und zum Gegenüber aufrechtzuerhalten in einer Zugewandtheit sich selbst und dem*r anderen gegenüber?

Ja, aber das ist nicht immer möglich. Eine Beziehung verläuft nicht immer geradlinig. Wir sind nicht jeden Tag gleich, uns beschäftigen unterschiedliche Dinge. Somit ist die Nähe nicht immer gleich. Wenn der Abstand dann mal größer wird, kann man das Gefühl haben, dass einen viel trennt. Dann stellt man die Beziehung infrage. Dabei ist das ein ganz normaler Prozess und man muss vielleicht nur etwas Geduld haben oder auch mal stehen bleiben. Dann passiert es auch wieder, dass man sich annähert. Man muss aber auch mit Kontaktabbruch klarkommen um Kontakt zu haben.


Du beschäftigst dich seit vielen Jahren nebenberuflich und seit acht Jahren hauptberuflich mit Beziehungen. Wie hat sich das Verständnis der Menschen zum Thema Beziehung in dieser Zeit verändert? Welche Herausforderungen und Chancen bringt unsere aktuelle Zeit mit sich?

Ich habe das Gefühl, dass Sicherheit und Treue in Beziehungen ein immer größeres Thema wurde. Viele finden Sicherheit in körperlicher oder emotionaler Treue. Insbesondere bei jüngeren Menschen ist das festzustellen. Bei Menschen ab Mitte Dreißig kann ich mehr Flexibilität erkennen. Das liegt vielleicht daran, dass sie schon die Erfahrung gemacht haben, dass nicht alles von Dauer sein kann und nun neue Wege finden möchten, glücklich zu werden.

Dadurch, dass die Welt um uns sehr viel schneller und anspruchsvoller wird, soll die Beziehung viel an Wohlbefinden richten. Vor allem in Familien merke ich, wie viel Druck dahintersteckt, dass alles gut laufen muss. Viele machen sich zum Projekt gute Eltern zu sein, dem Kind beste Mutter oder bester Vater zu sein und auch noch eine perfekte Beziehung zu haben, und ziehen den Selbstwert, ein gutes Gefühl und Glück aus Beziehung und Familie. Familie ist auch etwas, was das Glück vervielfachen kann und einen kunterbunten Pralinenkasten an tollen Entdeckungen über sich und die Welt und Beziehungen birgt, aber wenn man nicht bei sich anfängt und das alles zu sich holt, dann ist es schwer.

Es gibt auch eine größere Offenheit, sich mit alternativen Beziehungsformen zu beschäftigen und bewusste Entscheidungen zu treffen. Es gab aber schon immer irgendwelche Bewegungen, genau wie es immer noch die damit einhergehenden Probleme gibt, von der Norm abzuweichen. Manche sind noch immer bereit, eher unglücklich zu sein als aus der Norm auszubrechen, einfach weil sie es nicht für möglich halten, dass das geht.


Jede menschliche Interaktion ist doch eine Form der Beziehung. Weshalb hat die Paarbeziehung das Hoheitsrecht für das Wort Beziehung?

Das bleibt natürlich jedem selbst überlassen, wie er*sie Beziehungen deklariert. Dahinter steckt wohl der Wunsch, Dinge vereinheitlichen zu können. Man verbindet damit eine gewisse Norm und hat ein Gefühl des Konsenses, über einen gewissen Sachverhalt zu sprechen.


Ist das Label Beziehung denn überhaupt noch zeitgemäß und verbaut es uns nicht sogar viel? Wenn man sich das historisch herleitet: Früher gab es ja eine noch viel stärkere Normierung der Dinge. Die Ehe hatte hauptsächliche ökonomische Absichten mit einem bestimmten Reglement dahinter. Seit die Ehe nicht mehr diese Relevanz hat, wurde die Paarbeziehung mit dem Begriff Beziehung beschrieben. Aber eine Beziehung basiert auf Freiwilligkeit, nicht auf ökonomischer oder politischer Notwendigkeit und ist eben keine klar vordefinierte Instanz, sondern die Regeln sollten individuell ausgearbeitet werden. Verhindert der verallgemeinernde Begriff der „Beziehung“ eine solche Möglichkeit der gemeinsame Beziehungsgestaltung, indem er viel Unausgesprochenes unausgesprochen lässt?

Ich denke nicht. Denn dafür gibt es Konflikte. Die helfen einem, Unausgesprochenes aufzudecken und bestenfalls zu lösen. Gesellschaft ändert sich durch die Menschen, Schritt für Schritt. Das dauert natürlich. Mit dieser Entwicklung werden sich auch die Begrifflichkeiten ändern.


Zurück zum Bild des Architekten: Wer baut, der möchte sich einen Lebensraum schaffen. Dieser ist oft mit dem Wunsch nach Sicherheit und Dauer verbunden. Welche Rolle spielen diese Elemente in Beziehungen und wie verändern sie die Dynamik?

Das kommt darauf an, welche Bedeutung wir diesen zwei Begriffen geben. Die Frage ist wie man Sicherheit definiert, ob sie etwas ist, das in einem selbst liegt. Also die Selbstsicherheit, dass ich liebenswert bin und in Ordnung so wie ich bin, ist eine Stärke für die Beziehung. Auch der Glaube daran, dass man Dinge gemeinsam klären kann. Wenn ich aber versuche eigene Unsicherheiten durch meine*n Partner*in und die Beziehung auszugleichen, kann das problematisch sein.

Wenn man die Qualität der Beziehung am Aspekt der Dauer misst, kann man sich sehr unglücklich damit machen. Es ist immer noch ein Wunsch in uns, dass wir Menschen in unseren Leben haben, die unsere Leben kennen und teilen. Je länger das dauert, desto mehr Intimität kann das schaffen. Aber letzten Endes sollten wir den Fokus darauf richten, wie gut es einem in einer Beziehung geht, ob sie bereichernd, wertschätzend und liebevoll ist. Wenn sich das dann ändert oder die Rahmenbedingungen und die Beziehung zerbricht, dann nimmt das doch nichts von ihrem Wert.


Spielt unser marktwirtschaftliches Umfeld da eine Rolle? Die Forderung, dass ein Investment in eine Beziehung möglichst große und langfristige Profite ausschüttet?

Indirekt spielt das mit Sicherheit eine Rolle, denkt man da an die Checklisten für Beziehungen, die insbesondere jüngere Menschen für wichtig halten. Ich sehe vielmehr das Problem, dass wir unser Glück zu sehr an eine Person koppeln. Die klassische Haltung: Ich brauche jemanden, der mich vervollständigt, der mir das und das gibt und wir müssen uns gegenseitig ergänzen. Das ist problematisch. Und dass eine gewisse Konfliktscheuheit vorherrscht. Man neigt dazu, Konflikte als Problem zu betrachten. Dabei ist das größere Problem doch, Konflikte zu verheimlichen oder sich ihnen nicht zu stellen. Ich denke man sollte eine Beziehung vielmehr als eine Reise betrachten mit schöneren und weniger schönen Stationen.


Wenn wir eine Reise mit Offenheit und ohne große Erwartungen begehen, können wir sie genießen. Wenn wir sie marktwirtschaftlich angehen, also viel Geld dafür ausgeben und dadurch eine große Anspruchshaltung entwickeln, im Sinne von ich gebe und dafür möchte ich, dann wird die Reise weniger angenehm. Richtig?

Ja. Dem stimme ich zu. Der Unterschied besteht darin, ob ich eine Beziehung aus einem Mangel oder aus einer Fülle heraus eingehe. Ein großes Thema in Beziehungen ist die Bringschuld: Ich gebe dir und daher möchte ich etwas zurück. Das ist eine Haltung, die ich nur habe, wenn mir etwas fehlt. Dann ist ein Preis an mein Geben geknüpft. Wenn mir nichts fehlt, kann ich aus der Fülle geben. Das macht viel mehr Spaß. Aber wir leben leider eher in Zeiten einer Mangelwirtschaft.


Also wenn man eine Beziehung als Tauschgeschäft ansieht, entsteht eine Erwartungshaltung. Gilt es, Erwartungen zu vermeiden? Sollten wir besser von Wünschen und Bedürfnissen zu sprechen?

Das ist eine tolle Frage, die viele Menschen bewegt. Erwartungen gehören zum Leben, es kann auch hilfreich sein, Erwartungen zu haben. Erwartungen geben uns einen Orientierungsrahmen, zum Beispiel, dass die Sonne morgens auf- und abends untergeht. Es ist wichtig, sich über die eigenen Erwartungen bewusst zu sein und deren Erfüllung nicht als Selbstverständlichkeit vorauszusetzen. Ich kann nicht davon ausgehen, dass mein Gegenüber meine Erwartungen erahnt und ich muss damit umgehen können, wenn sie nicht erfüllt werden. Sonst respektiere ich nämlich auf der Gegenseite die Individualität meines Gegenübers nicht. Meine Erwartungen und Wünsche können denen des*r anderen gegenüberstehen. Das muss ich akzeptieren können.

Das heißt aber nicht, dass ich meine Erwartungen, Wünsche und Bedürfnisse unterordnen soll. Es ist wichtig und gesund, Bedürfnisse zu haben. Um diese erspüren zu können ist es notwendig, einen guten Kontakt zu sich zu haben. Dann kann ich sie auch nach außen kommunizieren. Doch auch hier gilt: Dass mein Gegenüber meine Bedürfnisse befriedigt, kann ich nicht erwarten. Ein Mensch allein kann eben schlecht alle Bedürfnisse erfüllen und manches muss ich innerhalb meiner selbst oder außerhalb der Beziehung erfüllt finden.


Wie viel Regelwerk verträgt eine Beziehung?

Regeln sind hilfreich und erleichtern das Zusammenleben. Regeln muss man gemeinsam finden und man muss wissen: Je mehr Regeln man hat, desto enger wird es und desto wahrscheinlicher wird es, dass welche gebrochen werden. Die Qualität entsteht im fürsorglichen Umgang mit der Einhaltung der Regeln genau wie im fürsorglichen Umgang damit, wenn sie gebrochen werden.

Je mehr Leute zusammenkommen, umso wichtiger werden klare Regeln und umso wichtiger wird die persönliche Verantwortung für sich selbst: Je größer der Personenkreis, desto mehr muss man sich darauf verlassen können, dass die Menschen in der Gemeinschaft sich gut um sich selbst kümmern können. Das gilt natürlich für erwachsene Menschen. Wenn die Gemeinschaft kleiner ist, kann man auch für den anderen mehr Verantwortung übernehmen. Nicht, dass das gut wäre. Deswegen wird es für Paare oft schwieriger, wenn Kinder hinzukommen. Dann werden es mehr Personen und man kann weniger Verantwortung für die Bedürfnisse des*r anderen übernehmen.


Gibt es bei alternativen Beziehungsformen wie beispielsweise der Polyamorie besondere Herausforderungen hinsichtlich der Kommunikation?

Wenn Menschen aufeinandertreffen, treffen eigene Universen aufeinander. Insoweit ist Kommunikation immer herausfordernd. Jede Beziehung wird somit unterschiedliche Herausforderungen haben. Je mehr Menschen aufeinander kommen, desto komplexer wird es. Eine klare und offene Kommunikation ist in Beziehungen mit mehreren also umso bedeutender. Komplexer wird aber auch die Alltagsgestaltung. Besonders in polyamoren Beziehungen müssen gewisse Ressourcen wie Zeit akribischer verwaltet werden, aber auch Verantwortungsübernahme für andere. Je mehr Menschen involviert sind, desto weniger Verantwortung kann für andere aufgebracht werden. Das bedeutet: Hier ist die Eigenverantwortung stärker gefragt. Polyamore Beziehungen sind oft mehr als andere Beziehungen Verhandlungssache. Regeln werden hier ein wichtigeres Element, weil mehr Menschen beteiligt sind. Doch wir erinnern uns: Je mehr Regeln, desto enger wird es. Auf der anderen Seite geht die Polyamorie davon aus, dass nicht ein einziges Gegenüber für die Erfüllung aller Bedürfnisse verantwortlich ist. Das nimmt auch den Druck raus und erhöht die Chance der Ehrlichkeit. Sprich, hier benötigt es mehr Organisation, an anderen Stellen herrscht dafür aber mehr Freiheit. In der Beziehungsanarchie hingegen setzt man neben den Grundsätzen der Ehrlichkeit, Transparenz und Wertschätzung am stärksten auf die Eigenverantwortung. Konflikte werden hier nicht oder seltener zu etwas Gemeinsamen.

Jede Beziehungsform bietet ihre eigenen Herausforderungen, hinsichtlich der Kommunikation. Ich glaube, in der Polyamorie fällt es einem viel schneller auf die Füße, wenn etwas mit der Kommunikation nicht stimmt. Deswegen erlebe ich dort Kommunikation oft als von allen Beteiligten sehr geschätztes Tool und als etwas viel Selbstverständlicheres als in der „klassischen“ monogamen Beziehungsform. Ganz besonders wichtig wird die Kommunikation übrigens, wenn man über bestimmte Modelle hinauswachsen will.


Lässt sich der Wunsch nach Selbstbestimmtheit und Flexibilität mit dem nach sicherer und dauerhafter Bindung vereinbaren oder ist das ein unauflösbarer Widerspruch?

Es lässt sich vereinbaren. Wenn einem klar ist, dass man eine Verbindung von Individuen ist, dann ist die Verbindung leichter. Wenn ich dich als Individuum betrachte habe ich keine Bestimmungsrecht über dich. Das bedeutet Freiheit für dich. Wenn ich innere Sicherheit habe und keine Angst, verlassen zu werden, wenn ich ich bin, wenn ich mit einer Trennung klarkommen würde, dann kann ich auch Selbstverwirklichung in der Beziehung leben.


„Die Liebe ist keine Symbiose“, wusste Sartre. Stimmt das?

Dem stimme ich zu. Und auch andersherum: Symbiose ist keine Liebe.


Was ist Liebe?

Ich glaube Liebe ist so etwas wie die Macht bei Star Wars. Eine Naturkraft. Wir bewegen uns die ganze Zeit in der Liebe. Wir können sie aber nicht immer spüren und nutzen. Die partnerschaftliche Liebe beispielsweise kann ein Zugang dazu sein: wenn ich mich geborgen fühle und jemand anderen liebe. Das gilt auch für jede andere Form der Liebe: Liebe zu Eltern, Kindern, Haustieren, Selbstliebe. Jede Liebe ist eine eigene Perspektive auf diese Urkraft. Wir versuchen ständig an diese Energie anzudocken. Sie ist aber in erster Linie in uns und durchströmt uns. Wenn Kinder auf die Welt kommen, sind sie pure Liebe. Nur ist uns manchmal der Zugang dazu verschlossen. Dazu brauchen wir andere, um den Zugang zu uns selbst zu finden. Das kann jede Person sein, die etwas in uns aufblitzen lässt.


Liebe ist also eine Urgewalt, die danach strebt, frei zu wachsen?

Ich würde sagen sie ist eine Urgewalt. Punkt. Und wir haben ganz wenig Ahnung davon. Und es ist gut, diese zu erforschen und sie nicht in bestimmte Gerüste einzuzwängen.


Kommen wir nochmal zurück zur Symbiose. Oft geschehen in einer Beziehung unbewusst Rollenzuweisungen und man landet in einer (toxischen) Symbiose. Wie kann man frühzeitig feststellen, welche Rolle man einnimmt und ob sie einem*r gerecht wird?

Indem man sich gut spürt. Das ist hilfreich aber gar nicht so einfach, weil unsere Kultur vom körperlichen Sein und Fühlen zunehmend weggekommen ist und hin zur Überbewertung unseres Geistes. Es ist aber alles zusammen. Ohne Denken kommen wir nicht aus, aber am besten ist es, das Denken und das Körperliche und diese „ominöse Seele“ zusammenzubringen. Das ist wichtig, das gut zu können. Ich erlebe aber, dass es immer schwieriger wird, mit den eigenen Gefühlen umzugehen. Eine Möglichkeit des Ausgleichs kann hier sportliche Aktivität, Yoga oder Meditation sein. Und immer wieder gut in sich selbst hineinzuhören. Wie fühle ich mich? Wo sitzt das Gefühl? Was kann ich tun um Entspannung hier reinzubringen?


Wie stehst du zum Kompromiss? Was sind faule Kompromisse, was faire Lösungen?

Den klassischen Kompromiss du gibst ein bisschen nach, ich gebe eine bisschen nach, den finde ich scheiße. Das ist ein fauler Kompromiss. Damit ist niemandem geholfen. Maximal kurzfristig. Langfristig wird das schwierig, denn es endet dabei, dass man den kleinsten gemeinsamen Nenner lebt. Und je länger man zusammenlebt, desto kleiner wird er. Echte Lösungen sind Win-Win-Situationen. Niemand muss auf etwas verzichten und alle Bedürfnisse werden berücksichtigt und gestillt. Die haben sehr viel mit Innenschau, mit Neugier und mit Kommunikation zu tun. Denn dazu muss ich genau wissen, was mein Anliegen ist und aus welchem Bedürfnis es herrührt.


Es ist nicht immer möglich, Lösungen zu finden. Was macht man dann?

Aufhören, sich auf Lösungen als Heiland zu versteifen. Die Erfahrung, dass es nicht für alles eine Lösung gibt und schon gar nicht sofort ist sehr erleichternd, besonders wenn man Kinder hat.


Das hat aber doch zur Folge, dass zumindest auf einer Seite Bedürfnisse nicht erfüllt werden. Was hat das für Konsequenzen?

Oft werden Dinge für Bedürfnisse gehalten, die keine sind, sondern nur tieferliegende Bedürfnisse überschatten. Nehmen wir an, meine Partnerin möchte zum Yoga an dem Tag, an dem mein Saunaabend ist. Das ist ein Konflikt. Der lässt sich unter Umständen nicht lösen. Einer wird den Kürzeren ziehen. Wenn man dann aber hinschaut, welches Bedürfnis dem Wunsch nach Yoga zugrunde liegt, dann kann man Raum für die Lösung schaffen. Ist es das Bedürfnis, mehr Zeit für sich zu haben? Einen Ausgleich zum Alltag zu haben? Körperliche Betätigung? Dann kann man diesem Bedürfnis vielleicht an anderer Stelle Raum verschaffen. Man bekommt nicht immer was man will oder was man braucht, aber man hat meist die Möglichkeit, die tiefen Bedürfnisse zu stillen. Man muss den Blick manchmal etwas herausschrauben auf das gesamte Bild, dann bieten sich verschiedene Wege.


Woran kann man erkennen, wann es besser ist an einer Beziehung zu arbeiten und wann man sie besser beendet?

Es ist Zeit sich zu trennen, wenn du es auch tust. Ich finde, Trennungen werden überbewertet. Es geht doch nicht darum, ob ich mich trennen muss, sondern darum, wie ich glücklich werden kann. Wenn mein Weg zum Glück einer ist, den der*die andere nicht mitgehen möchte, dann muss es zur Trennung kommen. Das ist aber doch ein natürlicher Prozess. Man geht dann eben getrennte Wege. Wenn es zur Trennung kommt ist es wichtig zu sehen, was ich dazu brauche, dass ich gut abschließen kann. Brauche ich noch eine Aussprache? Dann muss ich diese initiieren.

Wenn man Kinder hat, ist das natürlich etwas anderes. Man kann sich nach einer Trennung nicht aus wem Weg gehen. Man trifft dann auf dieselben Probleme, die man in der Beziehung hatte, nur in veränderter Form. Wenn man sich mit sich selbst auseinandersetzt, bekommt man das gut hin. Man muss die Verantwortung übernehmen und begreifen, dass für eine Trennung beide verantwortlich sind. Und man muss den Schritt wagen, eine Kommunikation jenseits von richtig und falsch zu führen.


„Jenseits von richtig und falsch“, so heißt auch dein Podcast, den man alle zwei Wochen hören kann. Worum geht es?

Es geht um Liebe, Partnerschaft, Familie und Beziehungen. Ich greife meist Fragen auf und versuche mich einer Antwort zu nähern, denn auch ich kann nicht sagen, was richtig oder falsch ist. Ich möchte nur helfen, Verständnis für sich selbst und den*die andere*n zu wecken und eine Neugier füreinander. Es gibt dieses Zitat von Rumi: „Jenseits von richtig und falsch liegt ein Ort. Dort treffen wir uns.“ Wenn es um richtig und falsch geht, haben wir keine Chance uns zu begegnen. Dann können wir uns gegenseitig nicht sehen, sondern nur die Argumente. Wenn man diese beiseite lässt, werden die Menschen darunter sichtbar.


Was hast du durch deinen Beruf und deinen Lebensweg für dich über die Liebe gelernt?

In erster Linie habe ich mich durch die Beschäftigung mit der Liebe selbst immer besser kennengelernt. Bevor ich damit anfing war ich mir ein Unbekannter. Ich hatte wenig Zugang zu mir und anderen Menschen. Ich habe gelernt, dass Beziehungen, mich beziehen und in Beziehung sein mir helfen, mich näher kennenzulernen. Das bringt mich näher zu mir und je näher ich bei mir bin umso näher kann ich auch bei anderen sein.

Es gibt in der Liebe kein richtig und falsch und keine Patentrezepte. Schlussendlich geht es darum, den Weg zu gehen, der dran ist. Ich habe mich natürlich oft nach dem Sinn des Lebens gefragt. Ich komme immer deutlicher zu der Antwort: Das Leben will gelebt werden. Dasselbe gilt auch für Beziehungen. Beziehungen wollen gelebt und gestaltet werden. Alles muss ständig neu austariert werden. Das ist anstrengend, aber andererseits auch entspannend, denn man kann nicht scheitern, nur gewinnen.


Vielen Dank, Sven.

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